3 Europabildung an berufsbildenden Schulen
Berufliche Schulen bereiten auf eine Berufstätigkeit in Europa vor.
Mehr als vorangegangene Generationen werden die zukünftigen Arbeitnehmenden im internationalen und besonders im europäischen Kontext beruflich eingebunden werden. In nahezu allen beruflichen Bildungsbereichen spielen nationale Vorschriften mittlerweile eine untergeordnete Rolle. Unternehmen agieren im Europäischen Binnenmarkt, Standards werden durch europäische Normen festgelegt, und die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind durch EU-Gesetzgebung vorgegeben. Englisch hat sich mittlerweile als Geschäftssprache im europäischen Raum etabliert. Andere Fremdsprachen sowie das Verständnis für kulturelle Differenzen ermöglichen erfolgreiche grenzüberschreitende Geschäftsbeziehungen.
Eine fundierte Europabildung in der berufsbildenden Schule ist daher unverzichtbar, um den zukünftigen Fachkräften ein Verständnis für die Zusammenhänge in Europa zu vermitteln und sie dazu zu befähigen, die Europäische Idee aktiv mitzugestalten. Dies wurde im Beschluss der KMK „Berufliche Bildung als Chance für Europa“ (2020) zur Bildung an beruflichen Schulen eindeutig formuliert[1].
„Berufliche Bildung ist ein Schlüssel zur sozialen Integration im europäischen Kontext, und somit auch Basis für ein positives persönliches Selbstwertgefühl, gesellschaftliche Teilhabe und politische Partizipation. Berufliche Bildung ist ein wichtiger personen- und systemstabilisierender Faktor und kann in einer zunehmend als unsicher und unberechenbar empfundenen Welt einen Orientierungsrahmen für eine Abgrenzung gegenüber nationalistischen, antieuropäischen und antidemokratischen Tendenzen bieten. Berufliche Bildung leistet damit einen immanenten Beitrag zu Demokratie- und Europabildung als fundamentale Voraussetzung für die zukünftige Entwicklung Europas.“[2]
Die berufsbildenden Schulen geben den Lernenden wichtige Orientierung im europäischen Wertesystem.
Die Grundwerte der Europäischen Union sehen sich einer wachsenden Bedrohung ausgesetzt, die ihre stabilisierende Wirkung auf den Zusammenhalt unseres Staatenverbundes und unserer Gesellschaft zu gefährden droht. Gerade auch vor dem Hintergrund anhaltender Krisen und einem stetigen Strom von (Des-)Information stellen sich Fragen nach Priorisierung in Wertesystemen und der eigenen Positionierung in den Diskussionen. Besonders die Corona-Pandemie hat darüber hinaus zu einer Zunahme psychischer Probleme bei Jugendlichen aus allen Schulformen beigetragen. Die Angst vor sozialem Abstieg und Versagen sowie ein Gefühl der Ohnmacht angesichts äußerer Bedrohungen, die durch zunehmend aggressives Verhalten auf der globalen politischen Bühne, den Klimawandel und dessen Auswirkungen auf die Verteilung von Ressourcen verstärkt werden, tragen zur Verunsicherung der jungen Menschen bei.
So fällt auch den berufsbildenden Schulen im Übergang zum Berufsleben neben der traditionellen Aufgabe der theoretischen Berufsbildung die kulturpädagogische Aufgabe zu, jungen Erwachsenen einen gesellschaftlichen Orientierungsrahmen im beruflichen Umfeld aufzuzeigen.
Dies wird immer dann gelingen, wenn sich die Schulgemeinschaft von der in dieser Funktion unverzichtbaren Schulleitung bis zur Schülervertretung dieser Aufgabe verpflichtet fühlt und diese Bereitschaft regelmäßig auf gemeinsamen schulischen Veranstaltungen oder Konferenzen festigt. Aufgrund der Komplexität berufsbildender Schulen empfiehlt sich die Einrichtung einer Arbeitsgruppe, die die Maßnahmen an der Schule begleitet und regelmäßig evaluiert.
Diese Website bietet dazu Hilfestellung.
Diese Website soll berufsbildende Schulen dabei unterstützen, diese Ziele in der Europabildung zu erreichen. Sie soll dazu beitragen, die vorhandenen Ressourcen zu nutzen und den Diskurs über die Grundlagen unserer europäischen Wertegemeinschaft in beruflichen Bildungsgängen zu fördern.
Beispielsweise durch Vorstellung von Förderprogrammen, die das schulische Leben an der berufsbildenden Schule bereichern.
Zu einer beruflichen Europabildung gehört auch die Möglichkeit für die jungen Erwachsenen den Kontinent Europa durch Mobilitäten kennenzulernen. Auf dieser Website werden daher auch Förderprogramme der EU wie Erasmus+ oder bilaterale Austauschprogramme der Bundesregierung und anderer Institutionen vorgestellt. Diese bieten den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit, voneinander zu lernen und interkulturelle Kompetenzen zu erweitern (s. auch Kapitel 6: Mobilitäten für Lehrende und Lernende). Davon profitieren Lernende und Lehrende gleichermaßen. Eine europäische Ausrichtung bietet der gesamten Schulgemeinschaft der berufsbildenden Schulen neue Chancen, darunter auch Möglichkeiten zur Zusammenarbeit in internationalen Netzwerken.
Die Struktur berufsbildender Schulen bietet ideale Voraussetzungen für schul- und klassenübergreifende Europabildung.
Eine Besonderheit der berufsbildenden Schulen ist die innere Vielfalt des Systems (unterschiedlicher Bildungsstand, soziale, ethnische, religiöse Unterschiede etc.), die durch die Vielfalt der Bildungsgänge und –niveaustufen berufsbildender Schulen noch verstärkt wird. Dies bietet einerseits pädagogische und organisatorische Herausforderungen, denen begegnet werden muss. Andererseits bedingt dies ein großes Potenzial für eine Zusammenführung der unterschiedlichen Lerngruppen, unter anderem durch gemeinsame Aktionen wie Europatage und-wochen, Patenschaften, übergreifende Unterrichtsprojekte sowie im Austausch untereinander über Erfahrungen mit europabezogenen Projekten.
Auch Podiumsdiskussionen mit Politikern und Prominenten, gemeinsame Exkursionen und schulartübergreifende Austauschprogramme bieten attraktive Möglichkeiten für die Zusammenführung von Lernenden aus der diversen Schulgemeinschaft. Beispielsweise können Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund aus ihren Erfahrungen in der deutschen Gesellschaft berichten, die Bedeutung der europäischen Grundwerte als Resultat einer Unterrichtseinheit in die Klasse einer anderen Schulart getragen werden. Diese Begegnungen können dazu beitragen, dass einzelne Bildungsgänge sich gegenseitig öffnen und kennenlernen, sodass gesellschaftliche Vielfalt als Bereicherung und Chance begriffen wird.
Zusammenarbeit in Netzwerken erweitert die Möglichkeiten für Europabildung.
Vielfach bietet sich die Bildung regionaler Netzwerke auch mit allgemeinbildenden Schulen an, um sich gegenseitig anzuregen und voneinander zu lernen. Beispielsweise könnte eine berufsbildende Schule, die über eine Lehrküche verfügt, das Catering für ein Schulfest an einer Gemeinschaftsschule übernehmen, die im Gegenzug ihr Blasorchester bei der Europawoche der berufsbildenden Schule auftreten lässt.
[1] 2020_10_15-Berufliche-Bildung-als-Chance-fuer-Europa_01.pdf (bpb.de) [21.9.2023]
[2] Kultusministerkonferenz: Berufliche Bildung als Chance für Europa ;(Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 15.10.2020), Seite 9, abrufbar unter https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/veroeffentlichungen_beschluesse/2020/2020_10_15-Berufliche-Bildung-als-Chance-fuer-Europa.pdf) [21.9.2023]
Europabildung bietet in der Berufsvorbereitung und im Integrationsbereich viele Möglichkeiten zum Erwerb von Sozial- und Selbstkompetenz.
Im Berufseinstiegs- und Förderbereich steht die Vermittlung von Basiskompetenzen im Zentrum, ohne die eine Teilhabe am gesellschaftlichen und politischen Leben weder in Schleswig-Holstein noch in Europa möglich ist. Gerade im Bereich der Ausbildung von Selbst- und Sozialkompetenz können Angebote aus dem Bereich der Europabildung diese Anstrengungen unterstützen und damit die Arbeit an der Schule in einen größeren Zusammenhang stellen. Hinzuweisen ist beispielsweise auf die Angebote im kulturellen Bereich, in denen nonverbale Möglichkeiten des Ausdrucks eröffnet werden (s. Kapitel 5.6: Ästhetische Fächer oder Kapitel 4: Querschnittsthemen). Diese Kapitel geben eine Übersicht über Wege, wie handlungsorientiertes, ganzheitliches, erfahrungsorientiertes Lernen in Europa gelingen kann.
Besonders auf folgende Ansätze, die eine besondere Bedeutung im Berufseinstiegs- und Förderbereich haben, soll hier noch einmal gesondert hingewiesen werden:
Lernen durch Engagement
Die Initiative „Lernen durch Engagement“ (s. auch Kapitel 4.3: Lernen durch Engagement (LDE)) ermutigt Lernende, sich aktiv und engagiert in die Gesellschaft und in die Schule einzubringen. Gerade für die Erfahrung der Selbstwirksamkeit bieten die in diesem Kontext durchgeführten Projekte wertvolle Möglichkeiten. In diesem Zusammenhang hat die Initiative „Service Learning“ 2021 das Programm „Bildung für ein demokratisches Europa“ ins Leben gerufen, in dem der Schwerpunkt Europabildung mit Lernen durch Engagement zusammengebracht wird. Handlungsorientierte Demokratiebildung und die Förderung politischer Teilhabe von Jugendlichen stehen im Mittelpunkt dieser Initiative. Die Stiftung bietet Fortbildungen für Lehrkräfte, ebenso wie Materialien und Konferenzen an.
Niedrigschwellige Planspiele, kreative Wettbewerbe und Klassenreisen
Speziell für diese Schulformen wurde das Planspiel Jumper entwickelt (s. auch Kapitel 7.4: Planspiele), bei dem politische Vorgänge erfahrbar werden und das im Sinne einer Demokratieerziehung wichtige Impulse geben kann.
Schulartübergreifende Angebote lassen sich auch für den Berufseinstiegs- und Förderbereich nutzen, z.B.:
· die Angebote im Kontext Kulturelle Bildung (Kapitel 4.4: Kulturelle Bildung). Schleswig-Holstein fördert diesen Ansatz und ermöglicht so zielgruppenspezifische Angebote zum ganzheitlichen Lernen.
· Europaspezifische Themen können ebenfalls im Rahmen einer Teilnahme am Europäischen Wettbewerb angesprochen werden.
· Gute Erfahrungen bestehen auch mit Jahrgangsfahrten in entsprechende Jugendheime wie beispielsweise das Internationale Haus Sonnenberg im Harz, wo Teamer wertvolle erlebnispädagogische Angebote zur Stärkung des Sozialverhaltens machen oder Möglichkeiten für politische Diskussionen eröffnen. Ein entsprechendes Projekt wurde beispielsweise an der Beruflichen Schule des Kreises Stormarn in Bad Oldesloe durchgeführt.
Die Berufsfachschulen bereiten junge Menschen konkret auf Teilhabe an einem Leben in Europa vor.
Die Schülerinnen und Schüler der Berufsfachschulen werden in Vollzeit in der Schule unterrichtet, was eine gute Möglichkeit zur Integration von Europabildung in den Unterricht oder das schulische Leben eröffnet. Trotz der kurzen Verweildauer der Lernenden an der Schule selbst ergeben sich durch Verknüpfung der Lerninhalte mit europäischem Bezug oder kurzzeitige Mobilitäten ähnliche Möglichkeiten wie an Gemeinschaftsschulen, sodass auf die entsprechenden Kapitel der allgemeinbildenden Schulen verwiesen wird.
Als Vorteil ist jedoch zu werten, dass die Lernenden bereits kurz vor der Aufnahme einer beruflichen Tätigkeit in Europa eine höhere intrinsische Motivation besitzen, berufliche Chancen außerhalb Deutschlands kennenzulernen, die es zu nutzen gilt.
Weitere Impulse finden sich im Kapitel 5.8: Fächerkanon der berufsbildenden Schulen.
Berufsausbildung bietet Chancen und Herausforderungen bei der schulischen Europabildung.
Die duale Berufsausbildung bietet für den Bildungsauftrag der berufsbildenden Schulen in Bezug auf Europabildung gleichzeitig besondere Herausforderungen, aber auch Chancen. So sind die Lernenden wie an keiner anderen Schulart in einer beruflichen Praxis zu Hause, in der sie hautnah europäische Regularien und Vorschriften erfahren. Viele der Lernenden haben reale europäische und internationale Begegnungen, sei es beim Einkauf oder im Kundenkontakt.
Gleichzeitig herrscht ein starker Zeitdruck in Bezug auf die bevorstehenden Abschlussprüfungen. Viele berufsbildende Schulen in Schleswig-Holstein und die assoziierten Ausbildungsbetriebe ermöglichen jedoch den Auszubildenden trotzdem ein Praktikum im Ausland (s. auch Kapitel 6.5: Praktika im europäischen Ausland oder Kapitel 6.8.3: Mobilitäten nach Abschluss an berufsbildenden Schulen).
Darüber hinaus bietet es sich bei vielen Unterrichtsgegenständen an, einen europäischen Bezug herzustellen.
An dieser Stelle sei als Ergänzung auf den Europabezug der ausbildungsübergreifenden Fächer verwiesen (s. Kapitel 5.8: Fächerkanon der berufsbildenden Schulen).
Junge Erwachsene in Fachschulen weisen neben ihrer Berufsausbildung eine mehrjährige praktische Berufserfahrung auf. Sie bilden sich in Vollzeit oder auch berufsbegleitend über eine Zeitdauer von sechs Monaten bis zu drei Jahre zu Führungskräften fort – die Fachlichkeit steht stets im Vordergrund.
In ihrer Berufsausbildung haben sie idealerweise bereits Chancen und Herausforderungen der Europabildung kennengelernt und sind mit Vorschriften wie Regularien auf europäischer Ebene vertraut.
Ungeachtet des fachspezifischen Lehrplans bieten sich je nach Fachrichtung Möglichkeiten insbesondere in der Vernetzung zu Organen und Institutionen der EU, Themen der Europabildung vor allem mit wirtschaftlichem und sozialem Kontext zu vertiefen.
Fachspezifische Themen bieten häufig die Möglichkeit in gemeinsamen Projekten europäische Werte zu leben und Kompetenzen zu erwerben. Dazu können auch Mobilitätsangebote genutzt werden. (Kapitel 6: Mobilitäten für Lehrende und Lernende).
Der Sekundarbereich II an berufsbildenden Schulen ist dem an allgemeinbildenden Schulen ähnlich.
Der Sekundarbereich II an berufsbildenden Schulen (berufliches Gymnasium, Fachoberschulen, Berufsoberschulen) bietet ähnliche Möglichkeiten wie der Unterricht an allgemeinbildenden Schulen, sodass hier alle auf dieser Website genannten Methoden und Materialien interessant sein können.
Als Unterschied zum Sekundarbereich II der Gymnasien ist allerdings die größere Heterogenität der Klassen und der stets präsente Berufsweltbezug zu nennen.
Dies bietet zwar einerseits einen höheren Zeitbedarf bei der Vermittlung des Fachwissens in den Unterrichtsfächern, andererseits kann gerade in diesem Umfeld das breite Angebot von handlungsorientierten Ideen/ Materialien für Europabildung genutzt werden. Dass, wie auch an Gymnasien, Klassenreisen, Austauschprogramme mit Partnerschulen und weitere Programme stattfinden können versteht sich von selbst.
So bietet nicht nur das Erasmus+ - Programm für die Vollzeitformen der beruflichen Bildung inzwischen vielfältige Möglichkeiten, geförderte Auslandsaufenthalte, -praktika oder Austauschprogramme zu realisieren. Berufsspezifisch ist hier z.B. das Angebot ProTandem (s. Kapitel 6.7.4) zu nennen.
Die Situation am beruflichen Gymnasium erlaubt Lernenden in besonderer Weise ein Engagement für die Europabildung ihrer Schule.
Zum Schluss sei darauf hingewiesen, dass gerade in diesen Schulformen der berufsbildenden Schulen in der Regel Lernende zu finden sind, die sich auch für die Europabildung an der gesamten Schule einsetzen können und wollen. Besonders wird diese Möglichkeit dann eröffnet, wenn die Lernenden bereits vorher einen Schulabschluss an der berufsbildenden Schule erworben haben. So kann aus diesen Klassen beispielsweise ein Team für schulöffentliche Projekte mit Europabezug wie eine Europawoche oder ein Europatag zusammengestellt werden. Auch Fähigkeiten in Bezug auf digitale Kompetenz (Öffentlichkeitsarbeit, Gestaltung der Website, Präsentation von Schulprojekten) können in der Regel genutzt werden.